C14H12O3 – Eine Formel gegen das Vergessen


Was kann das "Rotwein-Molekül" Resveratrol wirklich?

RUBRIK: NAHRUNG FÜR'S GEHIRN - WAS IST DRAN AN GÄNGIGEN ERNÄHRUNGSMYTHEN?


Hast Du Dich schon einmal gefragt, warum Japaner so alt werden und Franzosen trotz üppigen Nachtmahls und ihrer Liebe zum Rotwein so schlank bleiben? Bist Du schon einmal auf die Idee gekommen, dass Nahrungsrestriktion Dein Gedächtnis verbessert? Und warum Du für die nächste Klausurvorbereitung besser Erdnüsse statt Walnüsse essen solltest.

Quelle: Foto von Ray Piedra von Pexels

Theorien über gesunde Ernährung gibt es wie Zellen im Gehirn...

„Rotes Obst ist gut für’s Blut.“
„Fasten fördert Körper und Geist.“
„Jeden Abend ein bis zwei Gläschen Rotwein halten gesund und sorgen für langes Leben.“

... sind allseits bekannte und gerne gehörte Ernährungsmythen. Aber was steckt eigentlich dahinter?

 

Quelle: autodraw.com
Die Zauberformel lautet C14H12O3, die chemische Verbindung der magischen Zutat Resveratrol (3,5,4‘-Trihydroxystilbene). Dabei handelt es sich um ein anti-antioxidativ wirkendes pflanzliches Polyphenol1.

Und jetzt mal für Nicht-Biolog:innen?

Resveratrol ist ein Nahrungsergänzungsmittel auf Naturbasis. Gewonnen wird es aus roten Trauben, Erdnüssen und japanischem Staudenknöterich. Rotwein besitzt einen vergleichsweise hohen Gehalt an Resveratrol2.

Eine Besonderheit des Resveratrols ist es, eine Kalorienrestriktion zu imitieren. Dabei werden spezifische Gene aktiviert, die auch mit einer verringerten Nahrungszufuhr assoziiert sind3 4. Abnehmen ohne Hungern? Vermutlich haben dieses Versprechen schon andere gegeben.

Ob Superfood oder Proteinbooster; Produkte zur Nahrungsergänzung finden sich in allen Formen und Farben auf dem Markt – als Pulver, Shake oder in Riegelform. Sollten wir uns also in Zukunft täglich Resveratrol ins Müsli mischen?

Wenn man dem Internet Glauben schenkt, besitzt das Naturwunder eine Reihe vielversprechender Heilwirkungen. So soll es nicht nur beim Abnehmen unterstützen, sondern außerdem das Hautbild verbessern, den Blutdruck senken, Diabetes mellitus Typ 2 vorbeugen und – wie so vieles – ein Krebskiller sein.

Und das ist noch nicht genug. Dass Resveratrol in den letzten Jahren an enormer Prominenz gewonnen hat (insgesamt 13.906 Publikationen auf Pubmed5), liegt sicher daran, dass es eine Verlängerung der gesunden Lebensspanne4 – kurz: ein langes Leben und Gesundheit bis ins hohe Alter – verspricht. Wer wünscht sich das nicht?

Aber Halt! - Bevor Du Dir jetzt mit gutem Gewissen Dein drittes Glas Rotwein einschenkst und genüsslich eine Handvoll gesalzener Erdnüsse naschst, solltest Du Dir lieber erst einmal anhören, was die Forschung dazu zu sagen hat.

In der Tat! – Eine eindämmende Wirkung auf Tumorbildung und -ausbreitung wurde in Studien bestätigt6 7. Auch führte die Behandlung mit Resveratrol zu einer Reduzierung der Blutzuckerkonzentration, Steigerung der Insulinsensitivität8 sowie Blutdrucksenkung9 bei diabetischen und übergewichtigen Versuchstieren. Interessant sind außerdem Effekte auf das Blutgefäßsystem10 und die Aktivierung von Sirtuinen3 4 (sog. "Langlebigkeits-Gene").

Das Ganze hat bloß einen Haken. Entweder die Studien erfolgten in vitro, also nicht am lebenden Organismus, sondern an Zellkulturen in einem Reagenzglas. Oder die Stichproben bestanden vornehmlich aus Insekten, Mäusen und Nagetieren.

Forschung an Menschen und die Untersuchung gesundheitsfördernder Effekte an klinischen Stichproben sind rar. Die Befunde sind zudem uneinheitlich. So variiert die krebsvorbeugende und -reduzierende Wirkung im Tiermodell bereits stark in Abhängigkeit von Alter und Geschlecht, Art und Schwere der Krebserkrankung sowie Zeitpunkt, Form und Dosis der Medikation11. Fettreduzierende12 und antidiabetische13 14 Effekte sowie der Einfluss auf den Stoffwechsel12 konnten nur bei stark Übergewichtigen und Diabetespatient:innen festgestellt werden.

Heißt das, der Hype um das Heilmittel ist haltloser Hokuspokus? Nicht ganz. Einen Wirkungsbereich von Resveratrol haben wir bislang noch außer Acht gelassen. Nämlich seinen Einfluss auf das Gedächtnis. Auch wenn das Naturwunder keine höhere Lebenserwartung zu verleihen vermag, könnte es zumindest zu einer Steigerung der geistigen Fitness und damit verbundenen besseren Lebensqualität im hohen Alter beitragen. Beispielsweise konnte die Einnahme von Resveratrol Alzheimer bedingten kognitiven Beeinträchtigungen vorbeugen15 und Lernstörungen sowie neurodegenerative Veränderungen des Hippocampus verhindern16. Ein moderater Rotweinkonsum scheint das Risiko für (Alzheimer-)Demenz zu reduzieren.17 – zumindest bei Ratten und Mäusen.

Zwei Studien zur Wirkung am Menschen zeigen kurzfristige positive Effekte auf für den Blutkreislauf notwendige Gefäßfunktionen (genauer: Endothelialfunktionen18 und zerebraler Blutfluss19).

Zusammengefasst: Es gibt Hinweise, dass Resveratrol Prozesse des zentralen und peripheren Nervensystems positiv beeinflusst. Aber die Beweislage hierzu ist gemischt und die Auswirkungen einer länger andauernden Nahrungsergänzung wurden bislang nicht untersucht.

Deshalb untersuchten Witte, Kerti, Margulies und Flöel (2014)2, ob sich durch die regelmäßige Einnahme von Resveratrol langfristig die Gedächtnisleistung von (älteren) Menschen verbessern lässt...


Fatburning und Anti-(Brain-)Ageing in Kapselformat – die bislang unergründete Kraft des Resveratrols

[Effects of Resveratrol on Memory Performance, Hippocampal Functional Connectivity, and Glucose Metabolism in Healthy Older Adults]

Hierzu führten Witte et al. (2014)2 eine doppelblinde, placebokontrollierte Studie durch, d.h. sowohl Proband:innen als auch die Untersuchenden waren über die Zuteilung zu Resveratrol- und (Placebo-)Kontrollgruppe nicht informiert. Ziel war es, die Auswirkungen von zusätzlich verabreichtem Resveratrol auf die Gedächtnisleistung zu untersuchen.

Die Feinschmecker...

… waren 46 deutschsprachige, gesunde, übergewichtige (BMI = 25-30 kg/m2) Proband:innen im Alter von 50-80 Jahren.

Ausschlusskriterien waren schwere unbehandelte medizinische, neurologische und psychiatrische Erkrankungen, Diabetes mellitus Typ 1 und 2, die Einnahme von Antidepressiva sowie ein täglicher Konsum von 50 g Alkohol, zehn Zigaretten sowie sechs Tassen Kaffee oder mehr.

Das Menü...

… umfasste zwei Versuchsbedingungen.

Experimentalgruppe: 23 Proband:innen bekamen täglich vier Resveratrol-Kapseln verordnet.

Placebo-Kontrollgruppe: 23 Proband:innen – paarweise der Experimentalgruppe nach Geschlecht, Alter und BMI zugeordnet – erhielten die entsprechende Dosis in Form von Placebo-Kapseln (bestehend aus Sonnenblumenöl).

Der Einnahmezeitraum betrug zwei mal 13 Wochen. Währenddessen waren die Proband:innen dazu angehalten, ihre Ernährungsangewohnheiten nicht zu verändern.

Die Bewertungskriterien…

... wurden in einem Prä-/Post-Vergleich, also vor und nach der Nahrungsergänzung durch das (Placebo-)Präparat, gemessen:

  • Gedächtnisleistung: Hierfür wurde eine deutsche Version des Auditory Verbal Learning Tests (AVLT) verwendet, in der die Proband:innen eine Liste aus 15 Wörtern merken („Speicherung“), wiedererkennen („Wiedererkennung“) und nach einem 30 minütigen Zeitintervall erneut erinnern („verzögerter Abruf“) sollten.
  • Neurologische Veränderungen im Gehirn: Mittels Magnetresonanztomografie (MRT) wurden die Mikrostruktur des Hippocampus über die Methode des Diffusion Tensor Imaging/ DTI (siehe Infokasten) und dessen funktionelle Konnektivität (FC) über spezifische Zusammenhänge mit Aktivierungen in anderen Hirnregionen untersucht.
  • Allgemeiner Gesundheitszustand anhand von Körpergewicht und -fettanteil, Blutdruck und Herzkreislauf-Funktionen (genauer: Intima Media Dicke/ CIMT) .
  • Nüchtern-Blutproben, um die Insulin-, Glukose-, Cholesterol- (HDL und LDL), Leptin-Werte, das glykierte Hämoglobin (HbA1c) sowie weitere Parameter zu untersuchen.

Warum eigentlich ausgerechnet der Hippocampus?

 

Infokasten: Diffusion-Tensor-Imaging

Das Diffusion-Tensor-Imaging (DTI) beruht auf dem Prinzip diffusionsgewichteter Magnetresonanztomografie (MRT). Mit Hilfe der klassischen MRT wird die Diffusionsbewegung von Wassermolekülen im Gehirn erfasst20.
Die freie Ausbreitung der Wassermoleküle in alle Raumrichtungen wird durch die Mikrostruktur des Gehirns (Nervenzellen und Nervenbahnen) beeinflusst20.

Während sich die Wassermoleküle in der grauen Substanz des Gehirns (Zellkörper und Hohlräume) nahezu zufällig verteilen (sog. isotrope Diffusion), bewegen sie sich in der weißen Substanz (myelinisierte Nervenbahnen und Dendriten) bevorzugt entlang der und selten quer zu den Nervenbahnen (sog. anisotrope Diffusion). Diese Richtungsabhängigkeit wird durch verschiedene Faktoren wie z.B. der Bündelung, der Myelinisierung (Fettummantelung) und der Faserdichte von Nervenverbindungen bestimmt21.

Wie misst man die Bewegungsrichtung der Wassermoleküle?

Hier kommt die Magnetresonanztomografie ins Spiel. Wasserstoffatome besitzen magnetische Eigenschaften.

Indem in einem MRT ein starkes magnetisches Feldes angelegt wird, – keine Angst, das klingt gefährlicher als es ist – richten sich die Wasserstoffatome parallel oder antiparallel zu den magnetischen Feldlinien aus und rotieren um die Hochachse des äußeren Magnetfelds. Die Stärke des Magnetfelds wird in der Einheit Tesla angegeben21.

Versetzt man dem Gehirn einen zusätzlichen elektromagnetischen Impuls, kommt es zu einer Energieaufnahme einiger Wasserstoffatome. Zwei Phänomene sind zu beobachten: (1) Die Wasserstoffatome verlassen ihre ursprüngliche Anordnung. Man sagt sie „kippen antiparallel zum Magnetfeld um“ und (2) Die Rotation der Atome wird synchronisiert21.

Wird der Impuls beendet, geben die Wasserstoffatome ihre zusätzliche Energie wieder ab und gelangen in ihre vorherige Stellung. Wie schnell dies geschieht, hängt von den Eigenschaften des umgebenden Gewebes ab (z.B. Fett nimmt Energie langsamer auf als Wasser). Ein MRT-Signal misst die Dauer bis zur Wiederherstellung des Ausgangszustands und gibt somit Auskunft über das Gewebe, in dem sich die Wasserstoffatome bewegen21.

Und was zeichnet nun das DTI aus?

Die Besonderheit der Diffusion-Tensor-Imaging-Methode liegt in der Messung des dreidimensionalen Bewegungsverhaltens der Wassermoleküle. Indem die magnetische Feldstärke entlang der Hochachse des Magnetfelds variiert wird, lässt sich die genaue Position der Wasserstoffatome anhand der Signalstärke im MRT nachvollziehen. Die bevorzugte Diffusionsrichtung wird für jedes Voxel (kleinste Volumeneinheit) über eine zweidimensionale Matrix (sog. Tensor) berechnet. Diese wiederum lässt Rückschlüsse auf Hindernisse in der Molekülausbreitung durch Nervenverbindungen zu. Mittels Algorithmus werden benachbarte Voxel ermittelt, die am wahrscheinlichsten einen gemeinsamen Faserverlauf bilden (sog. Fiber-Tracking). Die Visualisierung erfolgt mithilfe von Schnittbildern, Traktografien oder Tensor-Glyphen. Unterschiedliche Farben markieren die Hauptfaserrichtungen, in die sich die Wassermoleküle am ehesten bewegen21.

Noch nicht ganz verstanden? Dann schau Dir gerne unseren kurzen Erklär-Clip an...

 

Bildquellen: https://pixabay.com/de/, https://biorender.com/, Jbabdi, S., & Johansen-Berg, H. (2011). Tractography: where do we go from here?. Brain connectivity1(3), 169-183 https://doi.org/10.1089/brain.2011.0033., https://neurosynth.org/ Hintergrundmusik: studio.youtube.com

Vor- und Nachteile der Diffusions-MRT 21:

Vorteile
  • Es müssen keine Kontrastmittel verabreicht werden (nicht invasiv)
  • Messbarkeit von Faserverbindungen
  • Keine Nebenwirkungen
  • Einfacher Zugang für Forschende (da MRT in den meisten Kliniken vorhanden)
Nachteile
  • Dauer der Untersuchung erhöht Wahrscheinlichkeit für Bewegungsartefakte
  • Wenn das menschliche Gewebe aus zu wenig Wasser oder zu viel Luft besteht, können keine eindeutigen Aufnahmen gemacht werden
  • Anschaffungs- und Wartungskosten
random facts 21
  • DTI-Messungen konnten zeigen, dass bei Menschen, die unter Stottern leiden, die Nervenverbindungen zwischen motorischen Sprach- und Sprachplanungsarealen ungeordneter und zudem weniger stark myelinisiert sind.
  • Anhand von DTI-Messungen korrelierten Wissenschaftler die Verbindungsstärke der Nervenbahnen vom Striatum in andere Hirnbereiche mit individuellen Persönlichkeitsmerkmalen. So war z.B. die Verbindung zum Hippocampus mit der Offenheit für neue Erfahrungen assoziiert (Achtung: Fakt ist nicht eindeutig belegt!).

 

 

Es ist angerichtet…

Nach umfangreicher Aufbereitung und Auswertung der (Roh-)Daten aus den Bildgebungsverfahren folgte die statistische Analyse vermuteter Unterschiede zwischen Resveratrol- und Placebo-Kontrollgruppe sowie Veränderungen über die Zeit auf den gemessenen Outcomes.

Na, was denkt Ihr? Was kann das Rotwein-Molekül Resveratrol wirklich?

 

Tatsächlich - Teilnehmer:innen der Resveratrol-Gruppe verzeichneten einen bedeutsamen Anstieg der Gedächtnisleistung im Auditory Verbal Learning Test (AVLT) und einen Gedächtnisvorteil gegenüber der Placebo-Kontrollgruppe. Dieser war jedoch nur für die kurzfristige „Speicherung“ der Wörter statistisch signifikant (Abbildung 1).

Abbildung 1. Veränderung der mittleren Gedächtnisleistung im AVLT (beispielhaft an der Variable „Speicherung“) über den Einnahmezeitraum hinweg (Prä-/Post-Vergleich). Vergleich zwischen Resveratrol- und Placebo-Kontrollgruppe.

Die Ergebnisse lassen sich nicht über das Entstehen von Nervenbahnen (strukturelle Konnektivität) erklären. Die DTI-Analyse zeigte keine Veränderungen im Gehirnvolumen oder der Mikrostruktur des Hippocampus. Vielversprechender lauten die Ergebnisse zu gleichzeitigen Aktivierungen mit anderen Hirnarealen (funktionelle Konnektivität). Eine Co-Aktivierung des Hippocampus mit frontalen, parietalen und occipitalen Arealen (Abbildung 2) war im Vergleich zur Placebo-Kontrollgruppe signifikant. Hierbei ließen sich spezifische Zusammenhänge zu der verbesserten Gedächtnisleistung im AVLT (und einem geringeren HbA1c-Wert) feststellen.

Abbildung 2. Funktionelle Konnektivität zwischen (1) dem linken anterioren Hippocampus (A1) und dem anterioren cingulären Kortex und Precuneus (2) dem linken posterioren Hippocampus (A2) und dem medialen präfrontalen Kortex (C) sowie (3) dem rechten posterioren Hippocampus und dem rechten lateralen okzipitalen Kortex (D)2

Außerdem scheint sich die Einnahme von Resveratrol positiv auf den Blutzuckerspiegel auszuwirken, was sich an einer Senkung des HbA1c-Parameters in der Experimental- gegenüber der Placebo-Kontrollgruppe bemerkbar machte. Und auch wenn sich die beiden Gruppen nicht in Körpergewicht und BMI unterschieden, führte die Nahrungsergänzung mit Resveratrol zumindest zu einer Reduktion des Körperfettanteils, welcher in der Placebo-Kontrollgruppe sogar zunahm. Allerdings konnte kein Effekt auf die Marker des Gefäß- und Herzkreislaufsystems (Blutdruck, Intima-Media-Dicke/CIMT) beobachtet werden.

Was sagen uns diese Ergebnisse nun?

Die langfristige – immerhin ein halbes Jahr! – Einnahme von Resveratrol scheint sich positiv auf die Leistung in einer Gedächtnis-Aufgabe auszuwirken. Die verbesserte Gedächtnisleistung geht mit Veränderungen der funktionellen, nicht jedoch der strukturellen Konnektivität des Hippocampus einher. Die Unabhängigkeit von funktioneller und struktureller Konnektivität passt zu den Ergebnissen von Zimmerman et al. (2018)22, denen zufolge die beiden Indikatoren mit unterschiedlichen kognitiven Funktionen assoziiert sind. Eine gleichzeitige Aktivierung verschiedener Hirnareale im Ruhezustand gilt als guter Marker für die Früherkennung altersbedingter degenerativer Hirnveränderungen sowie beginnender Alzheimer-Demenz23 24 25.

Des Weiteren wurde eine Reduktion des HbA1c-Wertes festgestellt. HbA1c ist ein Indikator für den mittleren Blutzuckerspiegel über einen längeren Zeitraum. Die Autor:innen erklären die positive Beeinflussung des Stoffwechsels über den Kaloriendefizit imitierenden Effekt Resveratrols2. Kann eine langfristige Resveratrol-Einnahme eine Diät ersetzen?

Was sagen sie uns noch nicht?

  • Wie sind die Zusammenhänge zwischen der Gedächtnisleistung und den Blutwerten (insb. HbA1c) zu verstehen? Es wurden außerdem spezifische Zusammenhänge zwischen den zentralen, kognitiven und den peripheren Effekten gefunden. Da aus einer Korrelation nicht auf Kausalität geschlossen werden kann, sind verschiedene Wirkmechanismen denkbar. Hat die Einnahme von Resveratrol einen direkten Einfluss auf die Gedächtnisleistung? Oder wird dieser durch die Verbesserung der Blutwerte moderiert? Hier stellt sich die Frage, ob Resveratrol auch bei normal-/ untergewichtigen Personen mit einer verbesserten Gedächtnisleistung assoziiert ist, da die Beeinflussung des Stoffwechsels und Blutdrucks durch Resveratrol bislang nur an Diabetes- und fettleibigen Patienten gelungen ist8 12 26.
  • Wie lassen sich diese Erkenntnisse gewinnbringend im klinischen Kontext einsetzen? Bei der Stichprobe handelte es sich um gesunde Personen ohne demenzielle Symptome. Auch gibt es (bislang) keinen Follow-Up-Vergleich in Bezug auf die Entwicklung altersbedingter Gedächtnisdefizite. Die Studie sagt also nichts darüber aus, ob der langfristige Konsum von Resveratrol eine Form der Prävention oder Intervention bei Demenz darstellen könnte.
  • Wie wirkt sich die langfristige Einnahme von Resveratrol auf die gesunde Lebensspanne aus? Die Autor:innen selbst kritisieren, dass der Einfluss auf die Genexpression (z.B. von Sirtuinen) – wir erinnern uns, diese werden auch als „Langlebigkeitsgene“ bezeichnet“ – nicht erfasst wurde (z.B. über eine Biopsie des Muskelgewebes).

Was halten wir davon?

Es handelte sich um eine experimentelle, doppelblinde Placebo-Kontrollgruppenstudie mit Prä- Post-Vergleich und zufälliger Stichprobenauswahl – kurz: dem was man unter dem „Goldstandard“ in der empirischen Forschung versteht. Zur Erfassung der Outcomevariablen wurde auf valide Messinstrumente (AVLT, DTI) sowie bewährte Datenbanken (1000 Functional Connectomes Project) und Kennwerte (z.B. HbA1c) zurückgegriffen. Der AVLT erfasst zuverlässig das Bilden und Behalten (Speicherung, Abruf) von Gedächtnisspuren27. Um Test-Retest-Verzerrungen zu vermeiden, verwendeten die Forscher:innen zwei parallele Versionen zu beiden Messzeitpunkten. Lediglich aufgrund der Stichprobe sind Einschränkungen der (externen) Validität zu erwarten. Da es sich ausschließlich um übergewichtige Personen handelte, ist die Übertragbarkeit der Ergebnisse auf die Allgemeinbevölkerung zu hinterfragen. Nicht zuletzt ist darauf hinzuweisen, dass es sich um eine Pilotstudie zu den Auswirkungen eines längerfristigen Resveratrol-Konsums auf zentrale und periphere Parameter handelt. Da die Forschungslage dürftig ist, stützen die Autor:innen die theoretische und empirische Fundierung ihrer Ergebnisse größtenteils auf in vitro- und Tierstudien. Um allgemeingültige Aussagen treffen zu können, ist weitere Forschung indiziert.

Und wieviel Gläser Rotwein darf ich nun trinken?

Auf die Frage, ob Du Dir nun noch ein Glas Rotwein genehmigen solltest, können wir natürlich keine pauschale Antwort geben. Da musst Du selbst die Risiken, die der Konsum von Alkohol haben kann, abwägen! Resveratrol findest Du aber auch in vielen anderen leckeren Lebensmitteln!

Unsere Verzehrempfehlung: Toppe Dein Frühstück mit einer Handvoll Weinbeeren, Cranberries oder dunklem Kakaopulver. Das ist abwechslungsreicher und hilft Dir ebenfalls dabei, Deinen täglichen Bedarf an Resveratrol zu decken.


Über den Tellerrand hinaus gedacht...

Resveratrol - eine Smart Pill für natürlichen Studiumserfolg?!?!

Statt die Nerven mit Baldrian zur Ruhe zu bringen, vor der nächsten Prüfung besser die grauen Zellen zu regem Informationsaustausch animieren. Forschung bestätigt: Die regelmäßige Einnahme von Resveratrol stärkt die gleichzeitige Aktivierung an der Gedächtnisbildung beteiligter Hirnregionen und hilft auf natürliche Weise beim Auswendiglernen.

!!! Demenzdiät statt Gehirn-Jogging !!!

Dem natürlichen Gedächtnisverlust durch die Einnahme von Resveratrol vorbeugen.

 

 

Angenommen Ihr würdet das als „Werbe-Spots“ auf Social Media sehen. Würdet Ihr zugreifen?

Warum (nicht)? Ab welchem Alter?

 

Nice to know

(Quelle: Verbraucherzentrale28)

  • Seit Juli 2016 ist synthetisch hergestelltes Resveratrol in der EU als Lebensmittelzutat zugelassen, allerdings ausschließlich in Nahrungs­ergänzungs­mitteln für Erwachsene als Tabletten oder Kapseln in einer Dosis von höchstens 150 mg pro Tag.
  • Resveratrol-Präparate sind frei auf dem Markt (z.B. über Amazon oder Ebay-Kleinanzeigen) erhältlich.
  • Die durchschnittliche Dosierungsempfehlung liegt bei 1 Tablette alle 1-3 Tage (je nach Hersteller)
  • Bei regelmäßigem Medikamentenkonsum sollte Resveratrol nur unter ärztlicher Aufsicht eingenommen werden.
  • Antioxidantien, wie Resveratrol, lassen sich auch über Gemüse, Obst und (Erd-)Nüsse konsumieren. Lebensmittel beinhalten zudem wertvolle Ballaststoffe, Vitamine, Mineralstoffe und Fettsäuren.

Ansonsten gilt wie für alle rezeptfreien Wirkstoffe...

Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker!


Literaturverzeichnis

1 National Center for Biotechnology Information (2021). PubChem Compound Summary for CID 445154, Resveratrol. Retrieved 2021, January 02 from https://pubchem.ncbi.nlm.nih.gov/compound/Resveratrol.

2 Witte, A. V., Kerti, L., Margulies, D. S., & Flöel, A. (2014). Effects of resveratrol on memory performance, hippocampal functional connectivity, and glucose metabolism in healthy older adults. Journal of Neuroscience34(23), 7862-7870. https://doi.org/10.1523/JNEUROSCI.0385-14.2014

3 Hu, Y., Liu, J., Wang, J., & Liu, Q. (2011). The controversial links among calorie restriction, SIRT1, and resveratrol. Free Radical Biology and Medicine51(2), 250-256. https://doi.org/10.1016/j.freeradbiomed.2011.04.034

4 Gertz, M., Nguyen, G. T. T., Fischer, F., Suenkel, B., Schlicker, C., Fränzel, B., Tomaschewski, J., Aladini F., Becker C., Wolters D. & Steegborn, C. (2012). A molecular mechanism for direct sirtuin activation by resveratrol. PLOS ONE7(11), e49761. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0049761

5 National Center for Biotechnology Information (2021). National Library of Medicine. Retrieved 2021 January 07 from https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/?term=resveratrol

6 Clément, M. V., Hirpara, J. L., Chawdhury, S. H., & Pervaiz, S. (1998). Chemopreventive agent resveratrol, a natural product derived from grapes, triggers CD95 signaling-dependent apoptosis in human tumor cells. Blood, The Journal of the American Society of Hematology92(3), 996-1002. http://www.bloodjournal.org/content/92/3/996.full.html

7 Nakagawa, H., Kiyozuka, Y., Uemura, Y. et al. (2001). Resveratrol inhibits human breast cancer cell growth and may mitigate the effect of linoleic acid, a potent breast cancer cell stimulator. Journal of Cancer Research and Clinical Oncology 127, 258–264. https://doi.org/10.1007/s004320000190

8 Baur, J. A., Pearson, K. J., Price, N. L., Jamieson, H. A., Lerin, C., Kalra, A., Prabhu, V. V., Allard, J. S., Luopez-Lluch, G., Lewis, K., Poosala, S., Becker, K. G., Boss, O., Gwinn, D., Wang, M, Ramaswamy, S., Fishbein, K. W., Spencer, R. G., Lakatta, D. K., Le Couteur, D., ... & Pistell, P. J. (2006). Resveratrol improves health and survival of mice on a high-calorie diet. Nature444(7117), 337-342. https://doi.org/10.1038/nature05354

9 Miatello, R., Vázquez, M., Renna, N., Cruzado, M., Zumino, A. P., & Risler, N. (2005). Chronic administration of resveratrol prevents biochemical cardiovascular changes in fructose-fed rats. American journal of hypertension18(6), 864-870. https://doi.org/10.1016/j.amjhyper.2004.12.012

10 Li, H., Xia, N., Hasselwander, S., & Daiber, A. (2019). Resveratrol and vascular function. International journal of molecular sciences20(9), 2155.  https://doi.org/10.3390/ijms20092155

11 Carter, L. G. (2014). D′ Orazio JA. Pearson KJ. Resveratrol and cancer: focus on in vivo evidence. Endocrine-Related Cancer21, R209-R225. https://doi.org/10.1530/ERC-13-0171

12 Timmers, S., Konings, E., Bilet, L., Houtkooper, R. H., van de Weijer, T., Goossens, G. H., Hoeks, J., van der Krieken, S., Ryu, D., Kersten, S., Moonen-Kornips, E., Hesselink, M., Kunz, I., Schrauwen-Hinderling, V. B., Blaak, E., Auwerx, J., & Schrauwen, P. (2011). Calorie restriction-like effects of 30 days of resveratrol supplementation on energy metabolism and metabolic profile in obese humans. Cell metabolism14(5), 612-622. https://doi.org/10.1016/j.cmet.2011.10.002

13 Szkudelski, T., & Szkudelska, K. (2015). Resveratrol and diabetes: from animal to human studies. Biochimica et Biophysica Acta (BBA)-Molecular Basis of Disease1852(6), 1145-1154. https://doi.org/10.1016/j.bbadis.2014.10.013

14 Brasnyó, P., Molnár, G. A., Mohás, M., Markó, L., Laczy, B., Cseh, J., Mikolás E., Mikolás I. A., Mérei A., Halmai R, Mészáros L. G., Sümegi, B. & Wittmann, I. (2011). Resveratrol improves insulin sensitivity, reduces oxidative stress and activates the Akt pathway in type 2 diabetic patients. British Journal of Nutrition106(3), 383-389.  https://doi.org/10.1017/S0007114511000316

15 Sharma, M., & Gupta, Y. K. (2002). Chronic treatment with trans resveratrol prevents intracerebroventricular streptozotocin induced cognitive impairment and oxidative stress in rats. Life sciences71(21), 2489-2498. https://doi.org/10.1016/S0024-3205(02)02083-0

16 Kim, D., Nguyen, M. D., Dobbin, M. M., Fischer, A., Sananbenesi, F., Rodgers, J. T., ... & Puigserver, P. (2007). SIRT1 deacetylase protects against neurodegeneration in models for Alzheimer's disease and amyotrophic lateral sclerosis. The EMBO journal26(13), 3169-3179. https://doi.org/10.1038/sj.emboj.7601758

17 Wang, J., Ho, L., Zhao, Z., Seror, I., Humala, N., Dickstein, D. L., Thiyagarajan, M., Percival, S. S., Talcatt S. T. & Maria Pasinetti, G. (2006). Moderate consumption of Cabernet Sauvignon attenuates Aβ neuropathology in a mouse model of Alzheimer's disease. The FASEB Journal20(13), 2313-2320. https://doi.org/10.1096/fj.06-6281com

18 Wong, R. H. X., Howe, P. R. C., Buckley, J. D., Coates, A. M., Kunz, I., & Berry, N. M. (2011). Acute resveratrol supplementation improves flow-mediated dilatation in overweight/obese individuals with mildly elevated blood pressure. Nutrition, Metabolism and Cardiovascular Diseases21(11), 851-856. https://doi.org/10.1016/j.numecd.2010.03.003

19 Kennedy, D. O., Wightman, E. L., Reay, J. L., Lietz, G., Okello, E. J., Wilde, A., & Haskell, C. F. (2010). Effects of resveratrol on cerebral blood flow variables and cognitive performance in humans: a double-blind, placebo-controlled, crossover investigation. The American journal of clinical nutrition91(6), 1590-1597.  https://doi.org/10.3945/ajcn.2009.28641

20 Alexander, D. C., Dyrby, T. B., Nilsson, M., & Zhang, H. (2019). Imaging brain microstructure with diffusion  MRI: practicality and applications. NMR in Biomedicine32(4), e3841. https://doi.org/10.1002/nbm.3841

21 Sommer, T. (2010). Neuroimaging: neuro-bildgebende Verfahren. In Der Experimentator: Neurowissenschaften (S. 209-263). Spektrum Akademischer Verlag.

22 Zimmermann, J., Griffiths, J. D., & McIntosh, A. R. (2018). Unique mapping of structural and functional connectivity on cognition. Journal of Neuroscience38(45), 9658-9667. https://doi.org/10.1523/JNEUROSCI.0900-18.2018

23 Chhatwal, J. P., & Sperling, R. A. (2012). Functional MRI of mnemonic networks across the spectrum of normal aging, mild cognitive impairment, and Alzheimer's disease. Journal of Alzheimer's Disease31(s3), 155-S167. https://doi.org/10.3233/JAD-2012-120730

24 Greicius, M. D., Srivastava, G., Reiss, A. L., & Menon, V. (2004). Default-mode network activity distinguishes Alzheimer's disease from healthy aging: evidence from functional MRI. Proceedings of the National Academy of Sciences101(13), 4637-4642. https://doi.org/10.1073/pnas.0308627101

25 Sorg, C., Riedl, V., Mühlau, M., Calhoun, V. D., Eichele, T., Läer, L., Drzezga, A., Förstl, H.,  Kurz, A., Zimmer C., & Wohlschläger, A. M. (2007). Selective changes of resting-state networks in individuals at risk for Alzheimer's disease. Proceedings of the National Academy of Sciences104(47), 18760-18765. https://doi.org/10.1073/pnas.0708803104

26 de Ligt, M., Timmers, S., & Schrauwen, P. (2015). Resveratrol and obesity: can resveratrol relieve metabolic disturbances?. Biochimica et biophysica acta (BBA)-molecular basis of disease1852(6), 1137-1144. https://doi.org/10.1016/j.bbadis.2014.11.012

27 Vakil, E., & Blachstein, H. (1993). Rey auditory‐verbal learning test: Structure analysis. Journal of clinical psychology49(6), 883-890. https://doi.org/10.1002/1097-4679(199311)49:6<883::AID-JCLP2270490616>3.0.CO;2-6

28 Verbraucherzentrale (2019, September 19) Für immer jung mit Resveratrol oder OPC? Retrieved from https://www.verbraucherzentrale.de/wissen/lebensmittel/nahrungsergaenzungsmittel/fuer-immer-jung-mit-resveratrol-oder-opc-13389