Mehr Selbstbewusstsein für Bulimie-Patient:innen

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FORSCHUNGSVORHABEN KOMPAKT

Das Störungsbild der Bulimia Nervosa ist gekennzeichnet durch wiederholte Essanfälle mit anschließenden kompensatorischen Verhaltensweisen wie selbstinduziertes Erbrechen, übermäßige Bewegung, Fastenkuren und Missbrauch von Laxanzien, Diuretika oder anderen Substanzen. Daneben beschäftigen sich Betroffene auch übermäßig mit ihrer Figur und ihrem Gewicht. Ihr Selbstwertgefühl hängt maßgeblich von körperlichen Merkmalen ab. Nicht selten weisen sie Störungen des Körperbildes auf. Die Normalisierung des gestörten Essverhaltens ist der erste Baustein, der im Rahmen einer Psychotherapie erarbeitet wird. Darauf aufbauend folgen kognitive Komponenten, unter anderem die Modifikation der oben genannten dysfunktionalen Grundannahmen und die Erhöhung des eigenen Selbstwerts als stärkende Ressource. Die Forschung zeigt, dass sich diese kognitiven Komponenten im Verlauf einer Therapie nicht so sehr verbessern lassen wie das wünschenswert wäre (siehe Hintergrundinformationen). Aus diesem Grund haben wir uns entschlossen, eine Wirksamkeitsstudie bei erhöhter Therapielaufzeit und verstärktem Fokus auf die kognitiven Komponenten dysfunktionale Grundannahmen und Selbstwert durchzuführen (siehe Design und Ablauf). Wir hoffen bei erfolgreicher Studienlage, eine Erweiterung des Standard-Therapievorgehens (siehe Fragestellung) bieten zu können, um Betroffenen weitere Perspektiven zu eröffnen. Finanziell unterstützt wird die Forschungsarbeit durch die Deutsche  Forschungsgemeinschaft (DFG).

HINTERGRUNDINFORMATIONEN

1-3% aller jungen Erwachsenen erkranken in ihrem Leben an der Essstörung Bulimia nervosa [1]. Zur Behandlung von Bulimia nervosa hat sich die kognitive Verhaltenstherapie (KVT) mit guten Erfolgsaussichten für etwa 70% der Patient*innen [3], als wirksamste Therapiemethode erwiesen. Hier werden alle Kernsymptome der Erkrankung in einem zweigleisigen Vorgehen (Two-Track-Approach) behandelt.

Erfahre hier, was Bulimia Nervosa ist! [2]

„Lundgren et al. (2004) […] berichteten lediglich im Hinblick auf verhaltensbezogene Merkmale wie die Essanfallshäufigkeit und das restriktive Essverhalten von Postwerten, die einer gesunden Vergleichspopulation entsprachen; während für kognitive Aspekte wie das Selbstwertgefühl oder dysfunktionale Grundannahmen oft weniger gute Ergebnisse zu verzeichnen waren.” [1]

In der Psychotherapiestudie von Lundgren et al. (2004) zeigte sich, dass die KVT bei erfolgreicher Behandlung besonders zur Verbesserung des Problemverhaltens geführt hat, während sich kognitive Probleme weniger stark verbesserten [4]. Das geringe Selbstwertgefühl, unter dem viele Bulimie-Patient*innen leiden, sowie dysfunktionale Grundannahmen (also ungünstige, aber fest verankerte Annahmen an denen die Patient*innen ihr Handeln ausrichten) weisen nach dem Two-Track-Approach jedoch ebenfalls großen Behandlungsbedarf auf, sodass die KVT an dieser Stelle unbedingt optimiert werden sollte. 

WAS IST DENN NUN EIGENTLICH DIE FRAGE?

Aus den genannten Gründen möchten wir deswegen eine Wirksamkeitsstudie von Psychotherapie bei Personen mit einer Bulimia Nervosa durchführen. Diese soll sich auf die beiden genannten kognitiven Komponenten Dysfunktionale Grundannahmen und Selbstwert fokussieren. Das Forschungsvorhaben wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) finanziell gefördert.

Wir stellen uns folgende Forschungsfragen:

1) Vorstudie: Wie hoch ist der Anteil (in Stunden) kognitiver Interventionen in der ambulanten Psychotherapie der Bulimia Nervosa?

2) Hauptstudie: Verbessern sich das Selbstwertgefühl und dysfunktionale Grundannahmen bei Patient*innen überzufällig, wenn die Stundenanzahl Kognitiver Interventionen erhöht wird?

Wir vermuten, dass Personen in Gruppe (3) und (4) zum Ende der Therapie jeweils höhere Werte bezüglich Selbstwert bzw. dysfunktionalen Grundannahmen vorweisen können als Personen in Gruppe (2). Zudem sollte auch die verlängerte Zeit an sich einen Effekt auf kognitive Komponenten haben, sodass wir zusätzlich vermuten, dass Personen aus Gruppe (2) zum Ende der Therapie höhere Werte bezüglich Selbstwert und dysfunktionalen Grundannahmen vorweisen können als Personen in Gruppe (1).

DESIGN UND ABLAUF
  • Eckdaten: Quasi-experimentelle Längsschnittstudie
  • Teilnehmende: Klient*innen, die am Anfang einer kognitiven Verhaltenstherapie stehen, und deren Therapeut*innen 
  • Studienidee: 
    1. Vorstudie zur Erhebung der durchschnittlichen Bearbeitungszeit (in Std.) kognitiver Komponenten
    2. Hauptstudie: Verlängerung der Beschäftigung mit dysfunktionalen Grundannahmen bzw. Selbstwert um 50% der durchschnittlichen Bearbeitungszeit (aus Vorstudie) --> Zusätzliche Stunden werden auf das Standardkontingent von 40 Therapiestunden angehängt 
  • Studiendesign: 4 Gruppen:
    1. Treatment as usual (TAU): 40h Therapie, individuell gewichtet
    2. TAU + verlängerte Zeit
    3. TAU + erhöhte Stundenzahl Selbstwert
    4. TAU + erhöhte Stundenzahl dysfunktionale Grundannahmen
  • Variablen/Outcomes:  
    • Prä-Post-Erhebung der Variablen Selbstwert, Dysfunktionale Grundannahmen, Allgemeines Wohlbefinden 
    • Post-Erhebung des Therapieerfolgs
  • Beispiel: In 40h Therapie sind laut Erhebung 10% (=4h) für die Behandlung kognitiver Komponenten erfasst worden. In der Folgestudie wird die aufgewandte Zeit um 50% (=2h) erhöht. 
    1. 40 Stunden inkl. 4h Behandlung kognitiver Komponenten (+/- 2 SD) 
    2. 40 Stunden zzgl. 2h zur freien Behandlung (=42h)
    3. 40 Stunden zzgl. 2h Behandlung Selbstwert (=42h)
    4. 40 Stunden zzgl. 2h Behandlung dysfunktionaler Grundannahmen (=42h)

DETAILLIERTERE HINTERGRUNDINFORMATIONEN GEFÄLLIG?

 

TWO-TRACK-APROACH

Bei der verhaltenstherapeutischen Behandlung einer Bulimia nervosa (einer häufig als Bulimie bekannten Essstörung) orientieren sich die Interventionen des zweigleisigen Vorgehens (Two-Track-Approach) sowohl an kurzfristigen als auch an langfristigen Veränderungen. Zum einen soll durch ein therapeutisch begleitetes Ernährungsmanagement eine Normalisierung des Essverhaltens unterstützt werden, um medizinisch relevante Defizite zurückzubilden. Diese kurzfristig angelegte Strategie dient als Ausgangspunkt für eine langfristige Behandlung psychischer und sozialer Belastungsfaktoren. Teil der langfristigen Behandlung sind u.a. sogenannte kognitive Techniken, mit denen an dysfunktionalen Gedanken, die zur Entstehung und Aufrechterhaltung der Bulimia nervosa beitragen, gearbeitet werden soll.

 

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[1] Legenbauer, T., & Vocks, S. (2014). Manual der kognitiven Verhaltenstherapie bei Anorexie und Bulimie: Mit weit über 100 Arbeitsblättern (2., vollst. überarb. u. erw. Aufl.). Berlin: Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-642-20385-5

[2] https://www.youtube.com/watch?v=carbLba_5d8 (01.02.2021)

[3] Steinhausen HC, Weber S (2009) The outcome of bulimia nervosa: findings
from one-quarter century of research. Am J Psych 166:1331–1341

[4] Lundgren JD, Danoff-Burg S, Anderson DA (2004) Cognitive-behavioral
therapy for bulimia nervosa: an empirical analysis of clinical significance. Int J Eat Disord 35:262–274