Wieso Milchshakes bei Stress das Gehirn auf Hochtouren laufen lassen (und was das Ganze mit Weihnachten zu tun hat)

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Triggerwarnung: Im folgenden Beitrag geht es um problematisches Essverhalten. Wenn du selbst darunter leidest, gibt es u.a. folgende Hilfsangebote: Das BZgA - Infotelefon zu Essstörungen: (0221) 89 20 31 Essstörungen - SuchtHotline München: 089 / 28 28 22 Telefonseelsorge: 0800 / 1110111 oder 0800 / 1110222

Wer kennt es nicht: Es ist kurz vor Weihnachten und am liebsten würde man sich ohne schlechtes Gewissen seiner Weihnachtsplaylist, dem Verpacken der letzten Geschenke und dem Genießen der selbstgebackenen Vanillekipferl zuwenden – wären da nicht die restlichen Hausarbeiten und Präsentationen, die man am besten schon letzte Woche fertiggestellt haben sollte.  Zur besinnlichen Weihnachtsvorfreude gesellt sich ein weiterer Faktor, mit dem wir alle mehr oder weniger immer wieder konfrontiert werden: Stress. 

Denken wir nun einmal an unser Essverhalten in dieser Zeit – wozu greifen wir eher? Zu den verlockenden Weihnachtsplätzchen, die so schön verziert bereitstehen, oder zu den Gemüsesticks (die eventuell auch schon ein paar Tage zu lange im Kühlschrank liegen...)? Insbesondere in stressigen Phasen kennt das wohl jeder von uns: Aus einem Vanillekipferl werden zwei, dann drei... “Ach, jetzt kann ich mir auch noch den Rest gönnen!”

Comic erstellt mit Canva

Unterschiedliche Ursachen können Stress zugrunde liegen, wie etwa das Anstehen eines angstauslösenden Arzttermins, das Schreiben einer schwierigen Klausur oder auch Konflikte mit Familienmitgliedern (die Gerüchten zufolge an Feiertagen hin und wieder vorkommen sollen). Egal, was zu einem erhöhten Stresserleben beiträgt, Stress kann in jedem eine andere Stressreaktion hervorrufen. Das haben schon Lazarus und Folkman in ihrem Transaktionalen Stressmodell [1] beschrieben. Je nachdem, als wie stressig wir unsere aktuelle Situation erleben und unsere eigenen Kapazitäten einschätzen, fühlen wir uns mehr oder weniger gestresst. Wie wir also auf Stress reagieren und letztlich damit umgehen, ist eine individuelle Frage. Bei vielen Menschen ist insbesondere das Essverhalten in stressigen Situationen betroffen.

Warum es manchmal der Schokonikolaus sein muss

Die Forschung konnte bereits zeigen, dass Stress einen Einfluss auf das Essverhalten haben kann, indem er entweder zu einer verminderten oder einer gesteigerten Nahrungsaufnahme führen kann [2]. Eine psychologische Erklärung für das übermäßige Essen in stressigen Situationen ist, dass Personen versuchen, ihre Stimmung zu steigern und eine Ablenkung vom aktuellen Stress zu suchen. Dabei greifen sogenannte „Stress-Esser“ in stressigen Situationen häufiger zu fett- und zuckerreichen Lebensmitteln, wie etwa Hamburgern, Pizza, Schokolade oder Milchshakes, als andere Personen, was eine Gewichtszunahme begünstigen kann. Der leckere Schokonikolaus, den man sich ursprünglich auf mehrere Tage aufteilen wollte, ist eben doch nur eine Portion… 40% der Befragten einer Studie in den USA gaben an, in Stresssituationen auf ungesunde Lebensmittel zurückzugreifen und zu viel zu essen [3]. Insbesondere für Frauen und übergewichtige Personen scheint das Risiko für dieses sogenannte “Überessen“ und einer damit verbundenen Gewichtszunahme hoch zu sein [4]. Einige Studien weisen außerdem darauf hin, dass der Body-Mass-Index (BMI) von Personen, die zu Stress-Essen neigen, besonders hoch ist, insbesondere bei Frauen. In Deutschland sind etwa 54 % der Erwachsenen übergewichtig (BMI ≥ 25 kg/m²) und 18,1 % adipös (BMI ≥ 30 kg/m²) [5]. Bei Männern konnten unter anderem eine lange Arbeitslosigkeit, das Single-Dasein bzw. eine vorangegangene Scheidung oder das Vorliegen eines akademischen Abschlusses Stress-Essen vorhersagen. Im Vergleich dazu erwies sich ein Mangel an emotionaler Unterstützung als begünstigender Faktor für Stress-Essen bei Frauen.

Was machen Essen und Stress mit unserem Gehirn?

 

Auf neurobiologischer Ebene konnten bereits Hirnareale identifiziert werden, die mit einer Belohnung durch die Nahrungsaufnahme zusammenhängen, unter anderem die Amygdala, die insbesondere während emotionaler Situationen, wie z.B. Stress oder Aufregung, aktiv ist. Schauen wir beispielsweise eine sehr spannende Filmsequenz unseres liebsten Weihnachtsfilms an oder packen noch kurz vor der Familienfeier gestresst die letzten Geschenke ein, dann ist vermutlich die Amygdala aktiv. Zusätzlich weisen Studien auf einen Zusammenhang zwischen Essen ohne Hungergefühl und einer Aktivierung der Amygdala hin. Dieses Phänomen konnte auch bei Ratten gefunden werden, bei denen erlernte Hinweisreize auf Nahrung aus der Umwelt zu einer Nahrungsaufnahme führen konnten, ohne, dass die Ratten Hunger verspürten [6]. Weitere ähnliche Studien mit Ratten kommen zu dem Schluss, dass Hinweisreize aus der Umwelt, die mit Nahrung assoziiert sind, wichtiger dafür sein können, ob tatsächlich gegessen wird, als Hunger. Denken wir einmal an den einladenden Duft Omas selbstgemachter Kokosmakronen in der ganzen Wohnung, dann dürfte der Duft allein schon zum (mehrmaligen) Probieren verleiten, selbst wenn das Mittagsessen gerade einmal zwei Stunden her ist. Studien, die die Funktionsweise der Amygdala beim Menschen untersuchten, fanden heraus, dass die Amygdala gewissermaßen einen Teil des Belohnungssystems des Menschen darstellt.

Was können wir daraus mitnehmen? Erstens: Stress beeinflusst die Amygdalaaktivität und zweitens: Amygdala und Stress-Essen stehen miteinander in Zusammenhang.

 

Neben der Amygdalaaktivierung scheint Stress ebenfalls mit einer neuronalen Aktivierung im Mittelhirn sowie im medialen orbitofrontalten Kortex (OFC) einherzugehen. Diese Regionen scheinen mit Belohnungsgefühlen bei der Nahrungsaufnahme in Verbindung zu stehen. So konnte gezeigt werden, dass die Gehirnaktivierung im Mittelhirn und OFC die Reaktion von Personen auf Milchshakes in fMRT-Gehirnscans vorhersagen konnte. Angenommen wird hierbei, dass Stress einen Einfluss auf die fMRT-Aufnahme hat, indem die Gehirnaktivierung in diesen Regionen durch akuten Stress beeinflusst wird.

 

 

 

Wer noch einmal genauer nachschauen möchte, wofür die von uns erwähnten Hirnareale zuständig sind und wo sie im Gehirn zu finden sind, der klickt einfach hier. Wir haben ein Modell erstellt, mit dem man sich einen Überblick verschaffen kann.

Infokasten: Metabolische Hormone, Dopaminkreisläufe und Nahrungsaufnahme
…oder: Wie unser Magen unser Gehirn reguliert und unser Gehirn unseren Magen.

Welche Rolle spielen neuronale Prozesse bei der Essensaufnahme?

Essen ist ein maßgeblicher Faktor, der zur Regulation unseres Energiehaushalts (der sogenannten Energiehomöostase) beiträgt und somit unser Überleben sichert. Vereinfacht gesagt führt ein Kaloriendefizit bestenfalls zur Nahrungsaufnahme, um unser System im Gleichgewicht zu halten. Dieser sensible Prozess wird durch unser Gehirn gesteuert und aufrechterhalten. Verschiedene Bereiche im Gehirn übernehmen dabei unterschiedliche Aufgaben bzgl. des Essverhaltens, wie z.B. der Motivation, Belohnung oder Bewegungsabläufe (siehe Abbildung). Relevant in der Regulation der essenssteuernden Mechanismen sind dabei nicht nur Prozesse innerhalb des Gehirns, sondern bspw. auch Hormone, die außerhalb des Gehirns ausgeschüttet werden.

Was macht unser Magen mit unserem Gehirn?

Periphere (also nicht aus dem Hirn stammende) Hormone aus dem Magen und aus Fettzellen können im Mittelhirn dopaminerge Systeme beeinflussen, welche wiederum die Nahrungsaufnahme kontrollieren, wie es hier als Kreislauf vereinfacht dargestellt ist.

Eines dieser Hormone ist Leptin, das vor allem aus Fettzellen ausgeschieden wird und eher zu einer Verringerung der Nahrungsaufnahme führt. Untersuchungen an Mäusen zeigten, dass es ohne Leptin zu einer gesteigerten Nahrungsaufnahme und Gewichtszunahme kam. Bei Leptinverabreichung kam es zur Gewichtsabnahme [7].

Auch Ghrelin, ein Hormon, das im Magen ausgeschieden wird und Hunger- und Sättigungsgefühle reguliert, hat einen Einfluss auf das Mittelhirn und ist bei der Nahrungsaufnahme relevant [8]. Diese Hormone aus dem Körper wirken auf den Dopaminkreislauf im Hirn ein, welcher eine wichtige Rolle bei Verhaltensweisen (z.B. Essensaufnahme) spielt.

 

Was ist eigentlich Dopamin?

Dopamin ist ein Neurotransmitter, also ein Botenstoff in unseren Nervenzellen, der besonders mit Glücksgefühlen assoziiert wird, da er im sogenannten Belohnungssystem unseres Gehirns eine tragende Rolle in der Erregungs- und Informationsweitergabe spielt. Er steuert unsere Motivation und ist mit Bedürfnisbefriedigung und Lust und allem, was uns glücklich und zufrieden macht, assoziiert, und dazu gehört bei den meisten von uns ja auch eine leckere Mahlzeit [9]. Mit dopaminergen Pfaden sind also Bahnen von verknüpften Neuronen gemeint, an denen Informationen mittels des Botenstoffs Dopamin weitergegeben werden.

Wie genau beeinflussen Dopamin und die dopaminergen Kreisläufe also unser Essverhalten?

Dopamin hat einen Einfluss darauf was und wie viel wir essen, wie man beispielsweise in Studien an Ratten ohne funktionierende Dopaminneuronen erkennen konnte. Dies führte zu einer reduzierten Nahrungsaufnahme und starkem Gewichtsverlust [10]. Auch andere Ergebnisse weisen auf die Rolle von Dopamin bei der Nahrungsaufnahme hin, wie beispielsweise die Ausschüttung von Dopamin sowohl bei der Erwartung von Essen als auch bei dessen Anblick [11]. Es gibt zwei für die Nahrungsaufnahme besonders relevante Pfade, entlang derer Dopamin wirkt, die in der Abbildung oben jeweils in rot und grün im Gehirn eingezeichnet sind. Der erste Pfad (rot) beeinflusst die Nahrungsaufnahme über den Dopaminkreislauf nicht direkt, sondern reguliert eher dafür relevante Mechanismen. Dopamin ist hier also nicht zwingend notwendig für die Nahrungsaufnahme, sondern ist eher für höherrangige Mechanismen der Nahrungsaufnahme zuständig. Darunter fallen die Motivation und Handlung, um uns Nahrung zu beschaffen sowie Reaktionen auf neue/unerwartete nahrungsbezogene Hinweisreize [12]. Anders sieht es beim zweiten Pfad aus (in unserer Abbildung grün): Fehlen hier die Dopaminneuronen, werden klare Defizite beim Ess- und Trinkverhalten erkennbar. Da dieser Bereich auch häufig mit willkürlichen Bewegungen assoziiert ist, besteht die Annahme, dass Dopamin entlang dieses Pfades notwendig für funktionierendes und zielorientiertes Essverhalten ist [12].

Dopamin - die erhoffte Antwort auf viele Fragen und doch so kompliziert

Was genau beeinflusst auf neuronaler Ebene denn jetzt, ob wir das fünfte Plätzchen wirklich essen? Ganz so leicht ist diese Frage leider nicht zu beantworten. Das liegt unter anderem daran, dass Studienergebnisse in diesem Bereich schwer zu interpretieren sind, da die Mechanismen in unserem Gehirn ein komplexes, zusammenhängendes Netzwerk darstellen, in dem es schwierig ist, die Rolle eines einzelnen Faktors auf unser Verhalten zu isolieren.

Trotzdem kann gesagt werden, dass Dopamin insgesamt einen Einfluss auf unser Essverhalten hat und in bestimmten Regionen direkt auf den Nahrungsaufnahmeprozess einwirkt, während es in anderen eher indirekt bei der Motivation für Essen und Reaktion auf neues Essen eine Rolle spielt. Dass wir den Schokonikolaus also ganz aufessen, liegt nicht nur am Dopamin allein - es gibt weitere wichtige Faktoren, wie einige nicht-dopaminerge Neurotransmitter [13, 14], die eine wichtige Rolle spielen und den Essensprozess zu einem komplexen Interaktionsspiel machen.

Wer noch etwas mehr darüber erfahren möchte was beim Essen speziell von Zucker im Gehirn passiert, kann sich dieses TEDEd Video anschauen.

 

Aber was kommt zuerst? Der Milchshake oder die Aktivierung im Gehirn?

Nun könnten wir uns die Frage stellen: Also sind wir gar nicht selbst schuld daran, wenn wir mal wieder zu sehr zugreifen? Ist es in Wahrheit unser Gehirn, dem wir die Verantwortung dafür zuschreiben können, wenn wir unter Stress mehr essen? An dieser Stelle setzt eine Studie der Forscherinnen Rudenga, Sinha und Small [15] an. Sie gehen der Frage nach, ob ein akuter Stressor die Gehirnaktivität übergewichtiger Frauen in Reaktion auf einen leckeren Snack beeinflussen kann. Hierzu stellten die Autorinnen die Vermutungen auf, dass die Reaktionen der Amygdala, des orbitofrontalen Cortex (OFC) und des Mittelhirns auf einen Milchshake unter einer stressigen Bedingung stärker ausfallen als unter einer neutral-entspannten Bedingung. Diese Reaktionen, so die Annahme der Autorinnen, hänge mit dem Maß an Cortisol im Blut am Morgen zusammen. Cortisol ist das Stresshormon des Körpers, daher wird der Cortisolspiegel am Morgen häufig als Hinweis auf chronischen Stress verstanden. Und: Der Einfluss von akutem Stress sei stärker ausgeprägt bei Teilnehmerinnen, die Anzeichen auf chronischen Stress zeigen und einen höheren BMI haben, so die Annahme der Forscherinnen. Hierzu untersuchten die Autorinnen insgesamt 16 Versuchsteilnehmerinnen im Alter zwischen 18 und 45 Jahren mit einem BMI > 25 kg/m².

Vor dem fMRT-Hirnscan bekamen die Teilnehmerinnen den Hinweis, weder satt noch hungrig zum Experiment zu erscheinen. Den Teilnehmerinnen wurde in verschiedenen Durchläufen entweder die Aufnahme eines neutralen oder eines stressigen persönlichen Erlebnisses vorgespielt, die sie in den Sitzungen zuvor berichten sollten. Währenddessen bekamen sie abwechselnd 1ml eines Schokoladenmilchshakes oder 1ml einer neutralen Lösung zu trinken, dazwischen durften sie ihren Mund ausspülen.

Was fiel den Forschern im Gehirn der Teilnehmerinnen nun also auf?

Hier die wichtigsten Ergebnisse in Kürze: Die Teilnehmerinnen wurden, wie oben bereits beschrieben, abwechselnd gestresst und entspannt getestet. Anschließend wurde ihre Reaktion unter Stress mit der Reaktion bei Entspannung verglichen. Die Amygdala reagierte unter Stress stärker als bei Entspannung und beim Trinken des Milchshakes stärker als bei der geschmacklosen Lösung. Die Forscherinnen konnten außerdem zeigen, dass beim Trinken des Milchshakes während der Entspannung die linke Seite der Amygdala aktiv war, unter Stress jedoch sowohl die rechte als auch die linke Seite der Amygdala. Zusätzlich zeigte sich: Je höher der Cortisolspiegel, also das chronische Stresslevel, der Teilnehmerinnen war, desto stärker war die Reaktion auf den Milchshake in der Amygdala. Die Autorinnen prüften außerdem den Zusammenhang zwischen der Hirnreaktion und dem BMI der Teilnehmerinnen. Dabei zeigte sich ein Zusammenhang zwischen der Reaktion im rechten OFC unter Stress mit dem BMI. Aus den Ergebnissen schlossen die Autorinnen, dass übergewichtige Frauen, die unter starkem chronischem Stress leiden, anfälliger für die Auswirkungen von Stress auf die Aktivierung der Amygdala beim Trinken des Milchshakes waren. Das könnte mit einer erhöhten Gefährdung übergewichtiger Frauen für Stress-Essen einhergehen. Möglicherweise ist neben der Amygdala also auch der OFC in diesen Mechanismus involviert. Offen bleibt, wieso nur die rechte Amygdala unter Stress auf Milchshakes reagierte. Die Forscherinnen vermuten, dass Stress und negative Gemütszustände in erster Linie  die rechte Amygdala  beeinflussen. Auch andere Studienergebnisse lassen darauf schließen, dass negative Emotionen in Bezug auf Angst insbesondere in der rechtsseitigen Amygdala verarbeitet werden [16]: Tierstudien zeigen, dass dieser Teil der Amygdala insbesondere beim Erinnern schlimmer Erfahrungen eine Rolle spielt [17]. Zusammengefasst deuten die Ergebnisse der Studie darauf hin, dass chronischer Stress und BMI Faktoren sind, die unter Stress akute Reaktionen in der Amygdala und im OFC auf leckeres Essen beeinflussen.

Was Milchshakes mit unserem Weihnachtsstress zu tun haben

Was können wir von Milchshakes nun über eventuelle Plätzchen-Gelüste im Weihnachtsstress lernen? Die Studienergebnisse zeigten, dass die Amygdalaaktivierung Essen ohne Hunger begünstigt, so wie es auch die anfangs dargestellten Tierstudien fanden. Zusätzlich ist noch wichtig, den Zusammenhang mit chronischem Stress zu beleuchten: Akuter Stress könnte durch eine veränderte Reaktion der Amygdala einen Einfluss auf die Nahrungsaufnahme haben – insbesondere bei Personen, die stark unter chronischem Stress leiden. Das könnte ein Hinweis dafür sein, wieso wir in der stressigen Weihnachtszeit häufiger mal zur Keksdose greifen, als wir eigentlich wollten. Chronischer Stress scheint, so die Autorinnen, mehr zu einer zukünftigen Gewichtszunahme beizutragen als akuter Stress. Der Forschung zufolge geht ein hoher Cortisolspiegel oft mit einem erhöhten Verzehr von fettreichen Nahrungsmitteln, einer erhöhten Kalorienaufnahme, Gewichtszunahme, Übergewicht und einem gestörtem Essverhalten einher. Daraus können wir lernen, dass die akute Stresssituation, wenn wir mal wieder nicht rechtzeitig alle Geschenke beisammenhaben, Stress-Essen weniger begünstigt als Stress über einen längeren Zeitraum hinweg. Eine positive Nachricht an uns: Selbst die stressigsten Vorweihnachtstage enden irgendwann und müssen demnach nicht zu einem chronischen Stressor werden. Somit halten sich die zusätzlichen Pfunde Anfang Januar hoffentlich in Grenzen.

Limitationen: Was zukünftige Studien dieser Art beachten könnten

An der Milchshake-Studie, die wir euch vorgestellt haben, haben tatsächlich nur sehr wenige Frauen teilgenommen. Das könnte dem Aufwand geschuldet sein, der mit Studien dieser Art einhergeht, und den Kosten, die beim Anfertigen von fMRT-Scans entstehen. Eine geringe Zahl an Studienteilnehmer*innen ist in neurologischen Untersuchungen nicht ungewöhnlich, sollte an dieser Stelle aber dennoch angemerkt werden. Weiterhin zogen die Forscherinnen ausschließlich übergewichtige Versuchsteilnehmerinnen heran. Es ist für zukünftige Studien anzumerken, dass auch normalgewichtige Personen und/oder nicht chronisch gestresste Frauen berücksichtigt werden sollten, um einen besseren Vergleich ziehen zu können, ob die gefundenen Mechanismen tatsächlich durch Stress-Essen und Übergewicht begünstigt werden, oder ob dies gar Prozesse sind, die bei allen Menschen so ablaufen.

Der BMI wird berechnet als Quotient aus Gewicht und Körpergröße zum Quadrat (kg/m2). In der Forschung wird der BMI häufig als Messgröße berücksichtigt, was einige Probleme mit sich bringt: Zum einen treten immer wieder Messungenauigkeiten durch falsche Angaben in Selbstberichten auf, zum anderen berücksichtigt der BMI weder die Verteilung von Körperfett, die Muskelmasse, den Wasserhaushalt oder Trainingszustand einer Person.

Demzufolge sollte der BMI nach Möglichkeit nicht als einziger Parameter zur Beurteilung des Ernährungszustands herangezogen werden [18]. Auch in dieser Studie wurde der BMI herangezogen, die Teilnehmerinnen konnten ab einem BMI von 25 in die Studie aufgenommen werden. Bei einem BMI, der so nah an der Grenze zum Normalgewicht ist (bis 24,9) besteht die Gefahr, dass die Teilnehmerinnen gar nicht übergewichtig sind, sondern einfach sehr muskulös oder eben „kräftig“ gebaut sind. Hier wäre eine Möglichkeit, in zukünftigen Studien einen höheren BMI als Voraussetzung für eine Studienteilnahme zu wählen oder das gesamte Gewichtsspektrum, von Unter- bis Übergewicht, abzudecken, um zu überprüfen, ob sich diese Gruppen tatsächlich hinsichtlich ihrer Hirnreaktionen in Bezug auf Essen und Stress unterscheiden. Zusätzlich sprechen die Autorinnen oft vom BMI als Risikofaktor oder Ursache für veränderte Hirnreaktionen, jedoch ist es auch denkbar, dass veränderte Hirnreaktionen die Ursache für den erhöhten BMI darstellen. Es wäre also möglich, dass es sich hierbei um eine Gruppe von Menschen handelt, die aufgrund ihrer Reaktionen im Gehirn einen veränderten Umgang mit Nahrungsmitteln unter Stress aufweisen und dadurch einen erhöhten BMI haben. Es gilt also noch zu überprüfen, worin die Ursache und worin die Auswirkung liegt. Aussagen darüber sind in Studien wie dieser, mit wenig Teilnehmerinnen, sowie Daten, die nur zu einem Zeitpunkt erhoben wurden, allerdings unzulässig. Zur Erhebung der Daten möchten wir zuletzt noch anmerken, dass die Forscherinnen schlossen, dass es sich bei den Versuchsteilnehmerinnen um Stress-Esserinnen handeln würde, allerdings gab es in der Studie keinen Hinweis auf das Essverhalten der Teilnehmerinnen. Die Frauen wurden lediglich mithilfe eines Interviews darauf geprüft, ob sie aktuell gestresst sind. Konnte eine Teilnehmerin kein stressiges Erlebnis berichten, so wurde sie von der Studie ausgeschlossen. Zwar füllten die Teilnehmerinnen Fragebögen zu ihrem Essverhalten aus, diese wurden im weiteren Verlauf der Studie allerdings nicht weiter erwähnt oder genutzt.

Implikationen: Wie wir die Milchshake-Studie praktisch umsetzen können

Es steht noch die Antwort auf die Frage aus, ob es letztlich unser Gehirn ist, dem wir die Verantwortung für mögliche zusätzliche Pfunde im Weihnachtsstress zuschreiben können. Was bedeuten die Ergebnisse der Milchshake-Studie für uns? Deuten sie darauf hin, dass wir Anfällen von Stress-Essen in stressigen Zeiten durch unsere Amygdala und unserem OFC schutzlos ausgeliefert sind? Befinden wir uns in einem Teufelskreis aus Gewichtszunahme und unserer neuronalen Aktivität? Zum einen gibt es zur Regulation glücklicherweise noch Areale wie den präfrontalen Kortex, der uns zu Belohnungsaufschub und vernünftigem Denken befähigt.

Darüber hinaus ergeben sich nicht nur auf neuronaler Ebene Spielräume: Maßnahmen gegen Stress-Essen können ebenfalls hilfreich sein. Achtsamkeit beispielsweise ist ein psychologisches Konzept, das in den letzten Jahren einen regelrechten Hype erfahren hat. Kurz gesagt geht es hierbei darum, Dinge wieder bewusster zu erleben, indem wir unsere ganze Aufmerksamkeit auf sie richten. Die gute Nachricht: Plätzchen essen ist in Ordnung, vielleicht aber besser in Momenten, in denen wir in gemütlicher Runde zusammensitzen und nicht beim abendlichen Netflix-Weihnachtsfilmmarathon, wenn unsere Aufmerksamkeit ganz woanders ist. Leidet man stark unter seinem Stress-Essen, dann könnte eine Neustrukturierung der Gewohnheiten im Rahmen einer Verhaltenstherapie dabei helfen, die eigenen Essgewohnheiten zu modulieren. Insbesondere in Kombination erweisen sich Maßnahmen dieser Art als wirksam gegen Stress-Essen [19]. Und jetzt bleibt uns nur noch zu sagen: Genießt die Feiertage und lasst es euch schmecken!


Jetzt seid ihr gefragt:

Seht ihr Potential darin, eine Hormontherapie zur Regulation der neuronalen Kreisläufe einzusetzen, um Menschen mit problematischem Essverhalten zu behandeln?


Quellen
[1] Lazarus, R., & Folkman, S. (1984). Stress, Appraisal, and Coping. Springer.

[2] Torres, S. J., & Nowson, C. A. (2007). Relationship between Stress,  Eating Behavior, and  Obesity.  Nutrition,  23(11-12), 887-894.  doi: 10.1016/j.nut.2007.08.008

[3] Clay, R. A. (2011). Stressed in America. Monitor on Psychology, 42(1), 60-61. http://www.apa.org/monitor/2011/01/stressed-america

[4] Laitinen, J., Ek, E., & Sovio, U. (2002). Stress-Related Eating and Drinking Behavior and Body Mass Index and Predictors of this Behavior. Preventive medicine, 34(1), 29-39. doi: 10.1006/pmed.2001.0948

[5] Schienkiewitz, A., Mensink, G., Kuhnert, R., & Lange, C. (2017). Übergewicht und Adipositas bei Erwachsenen  in Deutschland.  Journal of Health Monitoring,  2(2),  21-28.  doi: 10.17886/RKI-GBE-2017-025

[6] Weingarten, H. P. (1983). Conditioned Cues Elicit Feeding in Sated Rats: a Role For Learning in Meal Initiation.  Science,  220(4595), 431-433. doi: 10.1126/science.6836286

[7] Hommel, J. D., Trinko, R., Sears, R. M., Georgescu, D., Liu, Z. W., Gao, X. B., … & DiLeone, R. J. (2006). Leptin receptor signaling in midbrain dopamine neurons regulates feeding.  Neuron, 51(6), 801-810. 10.1016/j.neuron.2006.08.023

[8] Steiger, A. (2014). Untersuchungen zur physiologischen Bedeutung der Plasma-Ghrelinspiegel für die Hunger-und Sättigungsregulation (Dissertation). Ludwig-Maximillians-Universität, München. https://edoc.ub.uni-muenchen.de/16948/1/Steiger_Amelie.pdf

[9] Biesinger, R. (2019). Ohne Dop(amin)e ist alles doof. Springer, Wiesbaden. 10.1007/978-3-658-23526-0_6

[10] Ungerstedt, U. (1968). 6-Hydroxy-dopamine induced degeneration of central monoamine neurons.  European journal of pharmacology, 5(1), 107-110. 10.1016/0014-2999(68)90164-7

[11] Bassareo, V.& Di Chiara, (1999). Differential responsiveness of dopamine transmission to food-stimuli in nucleus accumbens shell/core compartments. Neuroscience, 89(3), 637-641. 10.1016/S0306-4522(98)00583-1

[12] Narayanan, N. S., Guarnieri, D. J., & DiLeone, R. J. (2010). Metabolic hormones, dopamine circuits, and feeding.  Frontiers in neuroendocrinology, 31(1), 104-112. 10.1016/j.yfrne.2009.10.004 (Hauptquelle Infokasten)

[13] Maldonado-Irizarry, C. S., Swanson, C. J., & Kelley, A. E. (1995). Glutamate receptors in the nucleus accumbens shell control feeding behavior via the lateral hypothalamus.  Journal of Neuroscience, 15(10), 6779-6788. 10.1523/JNEUROSCI.15-10-06779.1995

[14]Stratford, T. R., & Kelley, A. E. (1997). GABA in the nucleus accumbens shell participates in the central regulation of feeding behavior.  Journal of Neuroscience, 17(11), 4434-4440. 10.1523/JNEUROSCI.17-11-04434.1997

[15] Rudenga, K. J., Sinha, R., & Small, D. M. (2013). Acute Stress Potentiates Brain Response to Milkshake as a  Function of Body Weight and Chronic Stress. International Journal of Obesity, 37(2), 309-316. doi: 10.1038/ijo.2012.39. (Hauptquelle Blogpost)

[16] Davidson, R. J., & Irwin, W. (1999). The Functional Neuroanatomy of Emotion and Affective Style. Trends in cognitive sciences, 3(1), 11-21. doi: 10.1016/S1364-6613(98)01265-0

[17] Coleman-Mesches, K., & McGaugh, J. L. (1995). Differential Involvement of the Right and Left Amygdalae in Expression of Memory for Aversively Motivated Training.  Brain research,  670(1), 75-81. doi: 10.1016/0006- 8993(94)01272-J

[18] Volkert, D. (2006). Der Body-Mass-Index (BMI)- Ein wichtiger Parameter zur Beurteilung des  Ernährungszustands.  Aktuelle Ernährungsmedizin, 31(03), doi: 126-132. 10.1055/s-2006-932601

[19] Corsica, J., Hood, M. M., Katterman, S., Kleinman, B., & Ivan, I. (2014). Development of a Novel Mindfulness and Cognitive Behavioral Intervention for Stress-Eating: a Comparative Pilot Study.  Eating Behaviors,  15(4), 694-699. doi: 10.1016/j.eatbeh.2014.08.002